Die Geschichte
1336 – 1798
Wappenscheibe der Zunft zur Zimmerleuten von 1698 (Ausschnitt). In der Mitte die wichtigsten Arbeitsgeräte der drei Berufsgattungen: links die Breitaxt der Zimmerleute, in der Mitte der Zirkel der Steinmetze, rechts der Hammer der Fassbinder.
Im Jahr 1336 wurde die Macht in der Stadt Zürich als Folge eines politischen Umsturzes unter der Führung des Ritters Rudolf Brun neu verteilt. Die wie überall in Europa aufstrebenden Handwerker wurden erstmals an der Ausübung politischer Macht beteiligt. In der neuen Verfassung werden die Gesellschaft zur Constaffel und die zwölf Zünfte genannt und die Zusammensetzung der einzelnen Zünfte definiert. Selbstverständlich gab es mehr als zwölf Arten von Handwerk. Es wurden deshalb verschiedene, mehr oder weniger zusammenpassende Berufsgruppen in einer Zunft zusammengefasst. Unsere Zunft wurde als «Zunft der Zimmerleute, Maurer und (Fass)Binder» bezeichnet, wie folgt gegliedert waren:
Arbeit am Holz | Arbeit mit Stein/Ton | Arbeit am Fass/Wein |
---|---|---|
Zimmerleute | Steinmetze | Küfer (Fassbinder) |
Schreiner | Maurer | Kübler |
Drechsler | Hafner | Rebleute |
Wagner |
Es ist verständlich, dass sich für eine so vielfältige Gesellschaft lange Zeit kein einheitlicher Name durchsetzte.
Im 16. Jahrhundert verkürzte man auf «Zimmerleuten-Zunft». Im 17. und 18. Jahrhundert tritt der Name des Zunfthauses «Zum roten Adler» als Bezeichnung in den Vordergrund. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzt sich nach und nach die heutige Bezeichnung «Zunft zur Zimmerleuten» durch.
Im Unterschied zur bäuerlich geprägten Landschaft mit blutsverwandten, sesshaften Sippen war die Bevölkerung der im Mittelalter aufstrebenden Städte bunt zusammengewürfelt und in ständiger Bewegung. Es galt also, eine geeignete Ordnung zu entwickeln, welche die elementaren Bedürfnisse der Menschen deckt. Das massgebende Ordnungselement der Stadtbevölkerung wird die Berufsgruppe, organisiert in der Zunft. Das Wort «Zunft» leitet sich ab von «ziemen». In der Zunft wird also festgelegt, was sich für eine Berufsgruppe ziemt, was «zünftig» sein soll.
Festgelegt werden Regeln für fast alles:
Für die Ausbildung, die vom Lehrling zum Gesellen und schliesslich zum Meister führt, der die ihm anvertrauten Menschen seiner Familie und seiner Mitarbeiter patriarchalisch führt.
Für die Sicherheit der Arbeitsplätze: Gebiets- und Preisabsprachen (schon früh suchten sich die Berufsgruppen zu schützen gegen das Eindringen von auswärtigen Berufsleuten mit allfälligem Preisdumping).
Soziale Sicherung: es gab keine Versicherungen, dafür unbedingte Solidarität innerhalb der Berufsgruppe.
Militärische Sicherung: Jede Zunft erhielt einen Abschnitt der Stadtmauer zur Verteidigung zugewiesen und stellte im Kriegsfall eine bestimmte Anzahl Soldaten.
Politischer Einfluss: Die Zunftmeister werden mehr und mehr die massgebenden Mandatsträger in der Stadtregierung.
Anfänglich von bescheidenem politischen Einfluss, steigerte sich die Macht der Zünfte vor allem in der Reformationszeit in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Dies lässt sich bei der Zunft zur Zimmerleuten besonders gut zeigen. Zwinglis Wille zur Reform der Kirche, aber auch sein Kampf gegen die Reisläuferei polarisierte die Stadt. In der Diskussion über die Einführung der Reformation stand die Zunft zur Zimmerleuten geschlossen auf der Seite Zwinglis. Bisher eher ein politisches Leichtgewicht, sahen die Zimmerleute jetzt die Chance gekommen, grössere Macht zu erlangen, da die Gegner Zwinglis überwiegend der Constaffel und den führenden Zünften (Saffran, Meisen) angehörten. In dieser für das weitere Schicksal Zürichs wichtigen Zeit war Rudolf Binder als Zunftmeister ein massgebender Exponent des reformierten Zürich.
Der Staat Zürich war zunächst gewachsen durch Erwerb von Grundbesitz der zusehends verarmenden und aussterbenden Rittergeschlechter, in der Reformationszeit durch Verstaatlichung der Kirchen- und Klostergüter. Die Landschaft wurde als Untertanengebiet betrachtet, das von durchwegs städtischen Vögten verwaltet und städtischen Pfarrern geistig beeinflusst wurde.
Am Ende des 16. Jahrhunderts noch fast eine reine Handwerkerstadt, erfolgte im 17. Jahrhundert dank Impulsen der in der Gegenreformation nach Zürich kommenden reformierten Glaubensflüchtlinge die Entwicklung einer Textilindustrie und damit einer Exportwirtschaft. Diese führte zu einer Umgestaltung der städtischen Bürgerschaft. Auf der einen Seite gab es nun eine neue Oberschicht, deren Reichtum auf den beiden Säulen Grundbesitz und Textilindustrie beruhte. Auf der anderen Seite standen die städtischen Handwerker, die mehr denn je auf Absicherung bedacht und wohl gerade deshalb nicht besonders erfolgreich waren. Es entstanden also neue, nichthandwerkliche Berufe, vor allem jene des Kaufmanns und Unternehmers, die nicht an eine besondere Zunft gebunden waren. Man konnte sich demnach seine Zunft unabhängig von der Ausübung eines Handwerks frei aussuchen und die Zunftzugehörigkeit auch vererben.
Die freie Zunftwahl ermöglichte es der neuen Oberschicht, das politische Leben zu beherrschen. Der Anteil der Handwerker in Legislative und Exekutive, ja sogar im Gremium der Zunftmeister nahm kontinuierlich ab. Die zeitlichen und bildungsmässigen, aber auch die finanziellen Anforderungen für die Ausübung eines Staatsamtes waren so gestiegen, dass die Handwerker sie nicht mehr erfüllen konnten.
Im Rahmen dieser Entwicklung bewahrte die Zunft zur Zimmerleuten ihren handwerklichen Charakter in relativ hohem Mass. Der stabile Anteil der Handwerker an der Mitgliederzahl ist erklärlich, da die in der Zimmerleutenzunft vereinigten Handwerke durch die wirtschaftlich-technische Entwicklung nicht überholt waren und immer noch vielen eine Existenzmöglichkeit boten. Der hohe Anteil an Handwerkern hatte allerdings auch zur Folge, dass unsere Zunft auch in dieser neuen Entwicklungsphase des Zunftwesens nicht zu den einflussreichsten gehörte. Die «Oberschicht» der Zimmerleuten-Zunft bestand zunehmend nicht mehr aus aufgestiegenen Handwerkern, sondern aufgrund der freien Zunftwahl aus «zugezogenen» Unternehmerfamilien. Dank solchen Zuzügen konnte die Zunft zur Zimmerleuten im Zeitraum bis 1798 immerhin zwei Bürgermeister stellen, nämlich Hans Jakob Escher (1711-1734) und seinen Sohn Hans Caspar Escher (1740-1762).
Eines zeigte sich aber ab Anfang des 18. Jahrhunderts immer deutlicher: es gab eine Kluft zwischen dem Schein – Zürich als eine von Handwerkerzünften getragene Republik – und der Wirklichkeit – Zürich als eine Kaufmannsaristokratie. Die Begleiterscheinungen, militärische Missstände und Korruption, sind Vorboten des Untergangs der Zunftherrschaft am Ende des Jahrhunderts.
Literatur:
Zimmerleuten – Eine kleine Zunftgeschichte von Helmut Meyer, 2. Auflage 2011